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Best of Elbsandstein - oder "Tour de Tortur"

 

Die Prognose: 10°C, Sonne, Wolken und Wind. Dazu hat es am Vorabend geregnet.

Die Idee: Gipfelsammeln. Wind- und sonnenexponiert. Schmilka. Fester Sandstein.

Interessanter Gipfel für Liebhaber, Baustelle an den Siamesischen Zwillingen Dick und Doof
Interessanter Gipfel für Liebhaber, Baustelle an den Siamesischen Zwillingen Dick und Doof

 

Soweit dazu ...

Wenn ich aber so ans Gipfelsammeln in Schmilka denke, dann fallen mir unweigerlich die Siamesischen Zwillinge "Dick und Doof" ein - zwei megagrüne Sandsteinblöcke in einem idyllischen Grund in der Nähe vom Lehnsteig oder die merkwürdigen Formationen im Schneeberger Loch.

 

Doch nein, ich lerne heute dazu: Es gibt auch größere Objekte, die vom Sammler über mehr oder weniger genussreiche "Bergwege" begangen werden können ... mir schwant nichts Gutes!

 

Up in the Air - oder Sandsteinschlüchte sind tief!

Wir starten also motiviert am Parkplatz "Holzlagerplatz" zur Breiten-Kluft-Wand. Auf diese recht imposante Wand bin ich schon mal geklettert und an den Übertritt zum sogenannten "Hauptgipfel" (mit Gipfelbuch und Abseilöse) habe ich gar schreckliche Erinnerungen. Tapfer stapfen wir die Breite Kluft und unzählige Höhenmeter auf den Schrammsteinweg hinauf. Denn wie so oft bei Bergwegen beginnt der Aufstieg mit einen Abstieg in eine Scharte zwischen Massiv und Gipfel.

 

Wir stehen schließlich auf der Breiten-Kluft-Aussicht. Der Wind weht ordentlich und mir ist gründlich kalt. Die unverdrossenen Gipfelsammler hingegen turnen bereits in die Scharte zur Breiten-Kluft-Wand hinab. Diese lacht uns prächtig grün und schattig (vermutlich windstill?) entgegen. Was soll´s, ich bin hier ja nicht zum Vergnügen!

Mehr oder weniger elegant rutschen wir alle in die Scharte hinab. Christoph beginnt den heldenhaften Aufstieg der 3m zum Vorgipfel auf grüner Reibung. Nachholen an der Öse. Christoph ist bereits nach wenigen Sekunden auf dem Hauptgipfel. Dann kommt für mich, was kommen muss: Der Übertritt.

 

Meine Güte, warum um alles in der Welt endet man hier ständig auf Vorgipfeln ohne jede nutzer-und bergfreundfreundliche Gipfelinfrastruktur, wie Abseilöse und Gipfelbuch??? Beides winkt auf der Säule daneben und dazwischen gähnt ein 20m tiefer Kamin mit 1,50m Kluft. Links und rechts befinden sich Reibungstritte, Griffmulden und andere Handaufleger, die einen Übertritt lösbar machen könnten.

Breite-Kluft-Wand, Bergweg III: Der ÜBERTRITT! - Foto: Helmut Schule (2020)
Breite-Kluft-Wand, Bergweg III: Der ÜBERTRITT! - Foto: Helmut Schule (2020)

 

Also hocke ich am Kamin und starre in die Tiefe.

Dinge wie "Sog der Tiefe" und "Großes Kino" für die Besucher der Breiten-Kluft-Aussicht kommen mir in den Sinn. "Höhenrausch" wäre mir eindeutig lieber, denke ich wehmütig, doch davon bin ich gerade ungefähr 3m Reibung und eine Kluft weit entfernt.

Christoph ruft mir Mut zu, Matthias beobachtet mit einigem Vergnügen meine Versuche, mit dem rechten Fuß den Reibungstritt zu angeln und den Sandsteinsloper mit der linken Hand auch weiterhin zu halten. Wer hat schon Bock in einen Kamin zu scherbeln?

 

Nunja, irgendwann gelingt es mir die Reibungstritte zweckentsprechend und gipfelführend zu benutzen. Dann stehe ich eine gefühlte Stunde im Spagat zwischen Vor- und Hauptgipfel und bekomme die Füße nicht gelöst (hatte ich vorher tatsächlich Angst, ich könnte auf der Reibung wegrollen?). Bewundernde Rufe von der Aussicht begleiten mein Erstarren ... (Wenn die wüssten!)

 

Eine kalte Windböe holt mich in die Realität zurück. Ich reiße mich zusammen und schwinge beherzt auf den Hauptgipfel hinüber. Punkt

... beziehungsweise fühle ich mich zumindest so. In "echt" knalle ich wahrscheinlich grob gegen die Gipfelwand, krampfe mich an den dortigen Slopern fest und strampel mich irgendwie über die Gipfelturm-Wulst. Immerhin, ich bin oben!

Nachteil: Ich muss auch wieder zurück, zumindest dann, wenn ich nicht ins Tal abseilen und sodann mit Kletterschuhen noch einmal unzählige Stufen in der Breiten Kluft erklimmen möchte.

Der Weg zurück, Seilsalat auf der Breite-Kluft-Wand. Bergweg, III
Der Weg zurück, Seilsalat auf der Breite-Kluft-Wand. Bergweg, III


Übung macht den Meister!

Aber ehrlich? Man entwickelt eine gewisse Routine: Die Kluft zwischen Hauptturm und Vorgipfel ist gefühlt jetzt nur noch halb so breit, die Tritte fast schon riesig und die Sloper kommen nahezu als Henkel daher :)

Als Matthias endlich das Seilgewirr beseitigt hat, können wir uns an den Abstieg, Rückzug bzw. das Zurückklettern wagen. Die III-er-Reibung ist durchaus nicht vergügungssteuerpflichtig. Immerhin rollt man allenfalls in die sandige Scharte zwischen Wand und Massiv, rede ich mir zur Beruhigung ein. Dann aber baue ich mit Timo doch eine provisorische Abseile vom Vorgipfel in die Scharte hinab, nachdem Helmut allenfalls zur Verbesserung der Moral ein Abseilseil über einen Knuppel geworfen hatte und daran geglaubt hat, dass es halten könnte.

 

Geschafft! Naja, fast jedenfalls ...

So nach und nach kommen wir alle wieder auf dem Massiv an. Der Wind bläst munter weiter, doch die Gipfelsammellust ist noch längst nicht vergangen. Mir ist kalt und am liebsten würde ich einfach straff durchs Gebirge marschieren.

Das tun wir auch und zwar knapp 300m bis zur Rauschenspitze, von der Christoph schon die ganze Zeit mit glänzenden Augen erzählt. Natürlich, wie sollte es auch anders sein: Wir nehmen den Alten Weg (AW), der im Grunde natürlich irgendwie ein Bergweg ist.

 

Also arbeiten wir uns auf dem Massiv zur begehrten Spitze vor. Dort gähnt uns eine knapp 2m breite Kluft vor einer super glatten Wand an. Garniert mit 25m Tiefblick. Yeah, genau "mein Ding" ...

 

Christoph und Matthias hopsen wie aufgeregte Kleinkinder kurz vor der Bescherung an der Massivkante auf und ab und besprechen die Möglichkeiten eines Gipfelsturms. Es wird auf eine Baustelle hinauslaufen, so kann man wohl aus der VIIc (am oberen Ende) eine VI machen.

 

Helmut begibt sich in Fotoposition, denn Bilder von Überfällen und Baustellen im Elbsandstein sind beliebt. Die Sicherungsseile werden aufgebaut und die kreative Hopserei an der Massivkante geht weiter. Es wird links probiert, in der Mitte und dann rechts. Rückzug. Versuch. Rückzug. Ich gebe Seil aus, ziehe Seil ein und gebe Seil aus. Der Wind pustet es sogleich in großen Bögen nach rechts.

 

Dann geht es ganz schnell. Christoph fällt an der linken Ecke über und rastet an der Gipfelwand ein. Matthias turnt adrenalingedopt wie ein Wiesel darüber und rennt dann wie ein geölter Blitz zum Gipfel. Ein Freundenschrei schallt ins Elbtal. Wir haben zudem die Jahreserste. Na fein.

 

Nachsteigerfreundlich ist der Weg definitiv nicht. Wer nicht VIIc (am oberen Ende) klettern kann, hat mangels Zwischensicherungen gute Chancen auf einen Rundflug um den Gipfel, wenn er loslässt. Nach kurzer Überlegung entscheiden wir uns daher, unter der Abseile eine Seilhangel für die Nachsteiger einzurichten.

 

Rauschenspitze, "Seilhangelvariante" zum AW ... definitiv kein Plaisir!
Rauschenspitze, "Seilhangelvariante" zum AW ... definitiv kein Plaisir!

Mit etwas Sorge betrachte ich Hangel und Kluft, doch die ersten Nachsteiger bezwingen die Seilleiter geradezu grazil.

Fast fühle ich mich dann wie Tarzan, als ich fest ins Seil geklammert über die Kluft an die Gipfelwand schwinge, der Wind pustet mich zur Seite, aber die Schwerkraft siegt.

 Die Kletterei an den Knoten ist mühsam - doch man kommt oben an und insgesamt ist das ganze weit weniger furchteinflößend als der Übertritt auf der Breiten-Kluft-Wand.

 

Irgendwann sitzen wir recht glücklich auf der Spitze und genießen die Aussicht.

Ende gut? Noch lange nicht!

Das Abseilen bzw. Rückklettern auf das Massiv ist dann auch noch einmal wenigstens "interessant".

Nach der Aktion gibt es Glühgetränke und wir beschließen glühgetränkselig auch noch die Rauschenkuppe in Antriff zu nehmen. AW = Bergweg: was sonst?

 

Hier dürfen wir ca. 20m durch ein Kaminlabyrinth am Massiv zum Übertritt zur Kuppe absteigen. Wir kommen - im Abhängigkeit vom Körperumfang - mehr oder weniger sauber unten an. Spätestens jetzt hat das recht neue Seil von Timo eine gesunde Quacken-Sandstein-Farbe angenommen. Wieder lacht ein Übertritt, der vergleichsweise harmlos, ja fast schon lächerlich klein ist. Auch die sich anschließende Reibung ist eher Spaziergang als Herausforderung. Christoph jedenfalls geht ohne Zögern schnustracks zum Gipfel.

 

Als ich siegessicher an der Abseilöse ankomme, ahne ich das eigentliche Problem: Das begehrte Gipfelbuch befindet sich auf einem Höcker des hinteren Gipfelturms. Dazwischen klafft ein tiefer Kamin, danach wartet eine böse Reibung - natürlich ohne Henkel zum rüber ziehen mit ernsthaft abschüssigen Tritten. Während ich versuche, den Sandsteinknuppel unter meinen Händen irgendwie als Griff zu verwenden, komme ich zum Ergebnis, dass das Ding noch nicht mal als Sloper durchgeht. Wer vergibt dafür eine III? ... und ganz sicher habe ich das Gefühl, das mich nur das straffe Seil vor einem Besuch im Kamin bewahrt.

 

Die anderen beobachten meine Versuche, den Gipfelbuchturm zu erklimmen mit einer Mischung aus Interesse und Entsetzen und beschließen dann offenbar, sich diesen Weg zu sparen. Sie lassen sich von Helmut und mir das Gipfelbuch reichen, dann ergreifen sie urplötzlich die Flucht.

Nach einem Blick in Richtung Westen, weiß ich auch warum: Wie aus dem Nichts ist eine Schneefront aufgetaucht und während ich noch "Wie im April!" denke, stehe ich schon im Sturm aus Schnee und Graupel. Super Sache - zweifellos ;)

 

Kaum habe ich meine Füße wieder auf dem Massiv, ist auch der Schnee durch und die Sonne schickt ein paar zaghafte Strahlen zu uns, als wöllte sie die kalte Dusche ein wenig wieder gutmachen.

 

Als wir später im warmen Abendlicht zum Auto zurück gehen, komme ich zu dem Ergebnis, dass ich definitiv kein Freund von Bergwegen, Übertritten oder ähnlich experimentellen Varianten zur Erreichung des Gipfels werde.

Heute habe ich es überlebt und sogar zwei neue Gipfel ergattert, doch wer weiß, ob solches Glück von Dauer ist!

Der Tag war definitiv etwas für "Liebhaber"  ;)

 

Blick zum Rauschenstein von der Rauschenspitze
Blick zum Rauschenstein von der Rauschenspitze