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Die dunkle Seite der Schrammsteine: Neptun

 

"... ich will in die Schrammsteine ...."

 

Wer Schrammsteine hört, denkt an große, eindrucksvolle Sandsteinsäulen und Türme, die sich in quasi einer Kette um das Schrammtor gruppieren, den Wanderer und Fotografen zum Entdecken locken. Dem Kletterer werden dort herrliche Wände, furchteinflößende Kamine und Reibungskletterei in allen Schwierigkeiten geboten. Entsprechend beliebt sind der Spitze Turm, der Bierdeckel oder der Vordere Torstein. Hingegen gefürchtet sind Dreifingerturm, die Schramm-und Ostertürme oder der Meurerturm.

  

Schrammsteine, Blick zum Vorderen Torstein, Meurerturm, Flasche, Kesselturm, Kelch, Schramm- und Ostertürmen, ...
Schrammsteine, Blick zum Vorderen Torstein, Meurerturm, Flasche, Kesselturm, Kelch, Schramm- und Ostertürmen, ...

 

Dann gibt es noch die dunkle Seite der Schrammsteine: Auf Nord- oder Rückseite der Schrammsteine fristen Gipfel wie Mittelturm, Neptun, Regenturm oder Sonnenwendkegel ihr schattiges Dasein und so verirren sich dahin auch nur Gipfelsammler. 

Als ich vor einigen Jahren mit Matthias und Thomas den Mittelturm und den Sonnwendstein (letzterer bekommt nur zur Sommersonnenwende mal Licht) nieder gerungen bzw. ausgegraben hatte, waren begeisterte Rufe von der Schrammsteinaussicht zu vernehmen: "Schau mal, da klettern welche." und ich dachte damals: "Schön wär's ..."

 

Die dunkle Seite, Vol. 2

Nun bin ich mit Jürgen zum Gipfelsammeln verabredet. Ihm fehlen noch genau drei Gipfel in den Schrammsteinen: Nördlicher Schrammturm (AW, III - "durchaus furchteinflößend"), Säule (Climb Bambino, VIIIb - herrliche Wandkletterei) und Neptun. Die ersten beiden Türme, nebst Östlichem Schrammturm (AW, VIIb - "besonders furchteinflößend") sind fix abgehakt, dann geht es in die Schattenseite der Schrammsteine. Wir verlassen den sehr belebten Gratweg und steigen eine laubefüllte Rinne hinab in ein düsteres, grünes Kaminlabyrinth.

 

An der ersten Kaminkreuzung versuchen wir den Kletterführer zu deuten. Keine der Wegbeschreibungen passt wirklich auf das, was wir sehen. Insgesamt scheint der Gipfel jedoch leicht zu erobern, denn die etwas grüne Rampe mit deutlichen Begehungsspuren wirkt zwar schleimig, aber nicht sonderlich schwer. Das Seil packen wir gar nicht erst aus. Jürgen geht vor und ist alsbald aus meinem Sichtfeld verschwunden. Gerade als ich mich ebenfalls an den Aufstieg machen will, ruft er mir zu, dass er jetzt weiß, wo der eigentlichen Gipfel steht. Herrje, zu früh gefreut!

 

 

Try and Error: Erster Versuch im Kaminlabyrinth
Try and Error: Erster Versuch im Kaminlabyrinth

Try and Error

Jürgen kommt - etwas grün - zurück und wir steigen, in die Tiefen des grünen, düsteren Labyrinths aus Kaminen weiter hinab. Eigentlich driften wir mehr auf Moos, Laub und losem Sand in die Tiefe, als dass wir steigen. Dann stehen wir vor dem, was wohl nun wirklich der Gipfel ist. "Sonnenwend-Neptun" mein erster und "Edelschleimquacke" mein zweiter Gedanke.

Auch hier geben uns die Wegbeschreibungen im Kletterführer wieder unlösbare Rätsel auf. Vielleicht sind wir auch nur zu blöd oder zu wenig beherzt, in eine der quietsch-grünen Rampen, Rinnen und Kamine einzusteigen? Der Alte Weg scheidet sofort aus: Krass-Grün und eng! Jürgen entscheidet sich für eine Spreize, die wohl zum Rechtsweg führt, aber eigentlich nach links geht und immerhin einen Ring haben soll.

 

Er vagabundiert nun wild zwischen Massiv- und Gipfelwand umher, schmeißt mit Moos und Sand und verteilt ein paar Ufos im Fels. Nach einigem Zickzack verschwindet er oberhalb der zweiten Abseilöse in einem Loch im Fels: "Ah hier ist ein Ring!"

"Zum Glück." denke ich.

In kurzen Abständen wechseln sich nun Schnaufen und "gut aufpassen" ab. Herrje!

Moos und Sand rieseln mittlerweile ohne Unterlass an mir vorbei, in Haare und Nacken, Schrubb-Geräusche und Keuchen flankieren den Aufstieg. Dann ein erlösendes "Ha, hier ist es gemütlich" und Jürgen grinst auf einem Absatz an der rechten Kante liegend nach unten. Auf meinen fragenden Blick hin, erklärt er "Ich liege bequem auf einem Absatz mit Gras." Ich wackle zweifelnd mit dem Kopf.

 

Er richtet sich auf und nach einigen gemurmelten "hm", "naja" und "hmpf" meint er: "Ich glaube, hier geht es nicht weiter. Ich komme zurück."

Ergeben ziehe ich das Seil ein, während ich Schrubb-Geräusche "revers" vernehme. Soll heißen: Sie kommen wieder näher.

"Da muss ich wohl doch gerade am Ring hoch ... ", erklärt Jürgen dumpf aus dem Loch. Dem kann ich nichts hinzufügen und der Kletterführer ist an dieser Stelle recht unbestimmt.

 

 

Welcher Kamin darf es denn sein?
Welcher Kamin darf es denn sein?

Klettern für Erwachsene (P18)

"Gut aufpassen!", ermahnt mich Jürgen, "hier ist eine komische Rinne." Dann legt er los.

Was nun kommt, hätte durchaus Verwendung in einem P18 Film. Ich habe keine Ahnung, was er da oben treibt, aber es klingt, als wäre es etwas sehr, sehr Schmutziges, in dem Moos, Sand und punktuell Fels die Hauptrolle spielen. Er stöhnt, ächzt, stoß-atmet und keucht, als gäbe es einen Sex-Marathon zu gewinnen. Moosklumpen und Sand rauschen in respektablen Mengen in die Scharte. Dann kurz Ruhe und ein "Ne!!!! Hier gehe ich nicht weiter, ich guck mal links."

"Stimmt", denke ich, "wir sind ja im Rechtsweg" (Haha ...).

 

Erneut schwebt ein "Aufpassen" zu mir herunter. Ich umklammere den Tube fester, was soll ich sonst auch tun?

"Hier ist ein Ring." kommt eine Feststellung. 

Ein Ring? Dann geht es ruckzuck. Das Seil läuft zügig durch mein Sicherungsgerät, "Stand, Aussichern!" schallt zu mir hinab. Während Jürgen das Seil einzieht, checke ich Teufelsturm und den Kletterführer. Er hat vermutlich den 4. und letzten Ring der Warikarei, VIIIa, geklippt, dem lt. Teufelsturm eine kurze, rollige Reibungskante folgt. Die war dann offensichtlich nicht so schlimm, wie die Rinne vom Rechtsweg, VI.

 

"Klettern." ruft Jürgen herunter. Skeptisch mache ich mich auf den Weg und beginne zunächst im harmlosen Zickzack die in der grünen Wand verteilten Ufos wieder einzusammeln. Die Rinne erweist sich wirklich als richtig ekelhaft, krümelig und voller Flechten. Ein Weg für Liebhaber. Der komplett ungesicherte Ausstieg auf den Gipfel am Ende der Rinne ist für VI schlicht nicht zu haben.

 

Immerhin: Gipfelbuch von 1982 und nach einigem Hin und Her entscheiden wir uns für einen Eintrag zum von uns "überwiegend gekletterten" Weg (ich denke, wir schreiben deshalb die sächsische Klettergeschichte nicht um und auch nicht die vom Rechtsweg):

Neptun, Rechtsweg, VI, 9. Begehung. 

(Anmerkung für potentielle Nachahmer: Die wahren Gipfelsammel-Profis (im Gipfelbuch findet sich dazu das "Who-ist-Who der Szene") nutzen offenbar den Sprung vom Vorgipfel, den wir bereits aus Versehen erklommen hatten. Nach gründlicher Betrachtung der Situation, kann bei Bedarf den Sprung mit straffem Seil vom Vorgipfel auch sehr gut "entschärft" werden  ...)