Klettersächsisch - Deutsch

Man steht als Kletter- oder Gebietsneuling am Einstieg eines Weges auf einen sächsischen Sandsteingipfel. Leicht beklommen bis respektvoll schaut man auf den Weg. Ausgewählt hat man ihn mangels anderer Kenntnisse anhand einer Sternchenmarkierung im Kletterführer und einer möglichst niedrigen Zahl beim Schwierigkeitsgrad. Auf den ersten Blick sieht er "anders" aus als eine bunt markierte Route in der Kletterhalle.

 

Während man noch am Überlegen ist, gesellt sich eine weitere Seilschaft am Gipfelfuß dazu. Anhand ihrer abgewetzten Kleidung (typisch sind Löcher an Ellbogen, Rücken und Knie), charakteristischen Abschürfungen am Gurt und oft auch anhand der Abneigung gegen farbenfrohe Kleidung kann man sie als "einheimische Kletterer" identifizieren. Der gesprochene Dialekt kann durchaus auch ein Indiz sein.

 

Als Gebietsfremder oder Neuling ist man ebenfalls gut erkennbar: Neue und/oder unbeschädigte Kletterkleidung in freundlichen Farben, neue Ausrüstung, einheitliches und glänzendes Exen-Sortiment und am Ende gar noch ein jungfräulicher Kletterführer oder ein schimmerndes Seil in heller Farbe ...

 

Der Einheimische nickt einem prüfend zu. Schaut man auch nur ansatzweise hilflos zurück, kann es durchaus passieren, dass man mit einem Schwall gut gemeinter Ratschläge zum gewählten Weg bedacht wird. Diese Tipps sind mitunter ziemlich rätselhaft oder wenigstens missverständlich. Ich nenne das "Klettersächsisch". Einige der wichtigsten Hinweise, die einem so ereilen können, habe ich hier zusammen getragen und in halbwegs anwendungsreifes Deutsch übersetzt.

 

Ø Kategorie "Bewegung – hoch und runter"

  •  "Losmachen" = Es ist absolut sinnlos, an diesem Punkt großartig nachzudenken: Besser wird es einfach nicht. Über die Schwierigkeit oder die Lösbarkeit des Weges zu grübeln ist "wurscht", die hat an der Stelle vermutlich eh nichts mit dem angegebenen Grad zu tun. Am besten  hochspringen, sich hochhexen oder eine sonstige wilde Aktion durchführen, um die Stelle zu überwinden ...
  • "Keulen" = die nächsten Meter können nur mit ernsthafter und keuchender Anstrengung überwunden werden. Punktuell kann es zu Herzrasen und Beklemmungen kommen. Dahingehend empfindliche Menschen sind evtl. auch herzinfarktgefährdet.
  • "Hochlaufen" = Da man an der Stelle Griffe und Tritte vergeblich sucht, bleibt einem tatsächlich nichts anderes übrig, als daran zu glauben, dass die Füße bei jedem Schritt auf dem Sandstein haften. Hat man einen Griff zur Verfügung, wird der Hinweis "Hochlaufen" in "Durchlaufen" geändert … die Unlösbarkeit dieser Aufforderung bleibt allerdings erhalten.
  • "Auf die Füße stellen" = An dieser Stelle mangelt es eklatant an Griffen, man muss also auch hier daran glauben, dass man das Problem durch beherztes Hochlaufen (siehe dort) oder einfach steigen lösen kann.
  • "Baustelle" = man stapelt Menschen übereinander und klettert an/über denen/diese, statt am Felsen, zum ersten guten Griff, Tritt oder Ring, im Kletterführer als "mit Unterstützung" oder "Unterstützungsstelle" getarnt.
  • "Geht auf rechts" oder "Geht auf links" = man klemmt sich mit der rechten oder linken Körperhälfte beherzt in Riss oder Kamin und versucht sich dann mit fragwürdiger Technik nach oben zu schubbern … oder es geht manchmal auch gar nicht
  • "abbauen" = Menschen eilen dem in Not geratenen Kletterer zu Hilfe und bauen ihm eine menschliche Leiter zurück auf den Boden (der Tatsachen)

Ø Kategorie "Felsstrukturen" und "Wegbeschreibung"

  • "Geht auf Reibung" = es kommt eine beeindruckend abschüssige, trittlose und ungesicherte Fläche
  • "Ein echter Schrubber" = ein fieser und langer Kamin, die Chancen stecken zu bleiben sind meist jedoch größer, als die herauszufallen :) … das Wort "Schrubber" kommt von den Schabgeräuschen, die man beim Hochrutschen macht. Das erklärt auch die Abnutzung der Kletterkleidung von Sandsteinkletterern.
  • "Ein Keuler"= ein schecklich fieser Kamin, die Chancen stecken zu bleiben sind meist jedoch größer, als die herauszufallen
  • "Schlotte" = Kamin
  • "Hundebahnhof" = man klettert in ein manngroßes Loch und hängt darin irgendwie fest

 Ø Kategorie "Felsqualität"

  • "knusprig" oder "Keks" = sehr brüchig, die Chancen, samt Griff oder Tritt auszubrechen sind höher, als dass man diese benutzen kann. Die Gesteinsqualität ist also fragwürdig.
  • "noch nicht abgeklettert" = der Weg wird so selten geklettert oder ist so neu, dass es immer noch genügend instabile Griffe und Tritte gibt, die ausbrechen können.
  • "rollig" = Sobald man den Fuß auf einen Tritt setzt, lösen sich Sandkörner, auf denen man regelrecht wegrollt. Eine sehr furcheinflößende Erfahrung – zwar ist es in Rathen oft sehr sandig, das "bösartig rollige" findet man komischerweise eher am Pfaffenstein, den Schrammsteinen oder Schmilka. 

Ø Kategorie "Sicherung"

  • -"Da liegt nüscht" = Sicherung kann nicht angebracht werden ... man kann also gleich solo hochgehen
  • "Übersichtliche Sicherung" = Sicherung kann nicht angebracht werden ... man kann also gleich solo hochgehen
  • "Die Schlinge sieht schlecht aus." = Die mühevoll angebrachte Sicherung hat höchstens dekorativen Wert. Man hätte sich die Kraft also sparen können."
  • "Da liegt eine Schlinge." = Das heißt, es kann eine Sicherung aus Knoten oder Ufos angebracht werden (bereits "liegen tut da nix"). Man kann allerdings davon ausgehen, dass diese fragliche Stelle nur Kenner entdecken und nur eine ganz bestimmte Schlingengröße oder –form "da liegt" – also muss man das gesamte Sortiment mitschleppen.
  • "Gut gesichert." = Entweder es kommt nach zehn Metern mal ein Ring oder mit reichlich Erfahrung kann man auch zwei oder drei akzeptable Schlingen unterbringen. 
  • "hochstricken" = Der Kletterer legt vor lauter Angst oder aus Gelegenheit so viele Schlingen, dass der Fels vor lauter Schlingen kaum noch erkennbar ist oder der Kletterer vor lauter Seilzug stecken bleibt. Benötigt wird das Schlingenset-advanced.

Ø Kategorie "Kommentierung" alias "Warnung"

  • "sächsischer Weg" = räumliche Vorstellung beim Klettern, sogenanntes 3-D-Klettern, hilft, heil oben anzukommen. Neben Wand dürften auch Risse, Kaminteile und/oder Reibung drin vorkommen. Der Weg hat damit nichts, aber auch rein gar nichts, mit Wegen zu tun, die man aus Hallen oder anderen Gebieten kennt. Man sollte zudem davon ausgehen, dass die Sicherung "übersichtlich" ist (siehe dort).
  • "interessant" = es wartet in aller Regel eine (unangenehme) Überraschung, die sich nur mit Mut, Ignoranz, hektischem Denken, Größe oder im ungünstigsten Fall mit Glück lösen lässt.
  • "böhmisch" = mindestens drei Grad schwerer als angegeben, i.d.R. niemals unter III.
  • "für Liebhaber" = vermutlich ein sehr, sehr spezieller Riss oder Kamin und/oder was extrem grün-glitschiges (besser, man verzichtet drauf, das erhöht die Überlebenschancen)
  • "Klassiker" = in aller Regel was mit fiesen Kaminen, Rissen und/oder Reibung, völlig unterbewertet und in aller Regel auch nicht oder sehr schlecht gesichert *panic*. Meist von heroischen Kletterern erstbegangen.
  • "Großes Kino" = alle haben Spaß und bekommen vom Kletterer etwas geboten – nur der Kletter selbst kämpft wahlweise um sein Leben, seine Contenance oder blamiert sich bis auf die Knochen
  • "Da ist DNA am Fels" = Kletterer vor dir haben sich Hände, Füße und/ oder andere Körperteile aufgerissen und den Weg vollgeblutet – oder vor Angst Blut geschwitzt.
  • "Der Weg ist moralisch/heroisch" = Der Weg ist nicht nur schwer und sächsisch (siehe dort), sondern auch völlig ungesichert.
  • "Quacke" = i.d.R. unlohnender Kleinstgipfel. Das musste ich auch erst lernen, dass diese meist grünen, feuchten und kleinen Dinger sich bei Gipfelsammlern einer gewissen Beliebtheit erfreuen. Das Absammeln an kühleren Tagen ist jedoch meist ganz nett. Steigerung: "Edelquacke"  🍀

 

"Quacke" "für Liebhaber": Tiefblickspitze, AW - Foto: Helmut Schulze, 2018
"Quacke" "für Liebhaber": Tiefblickspitze, AW - Foto: Helmut Schulze, 2018