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Campanile Basso: Auf der Flucht vor den Franzosen!

Der Campanile Basso ist einer der markantesten Gipfel in der Dolomiten-Gruppe Brenta. 1899 wurde der eindrucksvolle Turm von Otto Ampferer und Karl Berger erstmals bestiegen. 1908 kletterten die in Sachsen gut bekannten Bergsteiger Oliver Perry-Smith und Rudolf Fehrmann über die SW-Verschneidung auf den Gipfel. Die letzten drei Seillängen dieses Aufstiegs gehören zur Ampferer-Führe von 1899, die mittlerweile an der Schlüsselstelle ordentlich abgespeckt ist, während die sichernden Normalhaken an dieser Stelle ihre besten Jahre ebenfalls schon hinter sich haben.

 

Was ist also der perfekte Aufstieg auf den Campanile Basso? Könnte es die Kombination aus Fehrmannverschneidung und Preuß-Ostwand (1911) sein? Wir wollen es herausfinden! 

 

Zustieg, um 5.55 Uhr oder so
Zustieg, um 5.55 Uhr oder so

Wir starten früh.

Erstens damit wir die Ersten sind, denn nichts ist ärgerlicher, als eine langsame Seilschaft vor einem. Zweitens damit wir schneller als das tägliche Nachmittagsgewitter sind. Warum das wichtig ist, ist vermutlich klar.

 

5.15 Uhr klingelt der Wecker, 5.25 Uhr stehen wir im Frühstücksraum vom Rifugio Brentei. Dort sitzen bereits tiefenentspannt vier Franzosen und knabbern Zwieback. Exakt die Franzosen, die wir am Vorabend unter den Gästen beim Abendessen als einzige weitere Kletterer identifiziert hatten.

Wenn diese nun nicht etwas völlig absurdes klettern wollen, dann kann deren Ziel eigentlich ebenfalls nur der Campanile Basso sein. Die Erkenntnis sickert langsam in mein müdes und koffeinfreies Hirn. Die zweite Erkenntnis: Sie sind zu viert! Das heißt dann wohl zwei Seilschaften. 😱

(Was ist schlimmer als eine Seilschaft vor einem im Weg? Richtig: Zwei Seilschaften ...).

 

Morgensprint zum Einstieg

Während Felix seelenruhig an seinem Nutella-Brot kaut, schlinge ich in für mich rekordverdächtigem Tempo das obligatorische Weißbrot hinunter, spüle mit dem lauwarmen Malzkaffee nach und stürme noch vor allen anderen aus dem Frühstücksraum, um startklar zu werden (an mir soll es nicht liegen). Zur Abwechslung habe ich nichts im Zimmer vergessen und so stehe ich 5.45 Uhr abmarschbereit vor der Hütte. Felix kommt ebenfalls gelaufen, er hat den "Ernst" der Lage erkannt. Wir marschieren in straffem Tempo ins Val Brenta Alta. Nach rund 20 Minuten Dauerlauf ist von den Franzosen nichts zu sehen. Vielleicht Fehlalarm? Wir sprinten weiter, mein nach wie vor koffeinfreier Kreislauf droht zu kollabieren, doch die Angst vor den vier Franzosen ist viel zu groß. Mit Sternchen vor den Augen geht es forsch das Tal hinauf. Die letzten Kohlenhydrate im Kreislauf verbrennen im Strudel meines aufgeregten Stoffwechsels.

 

"Wir haben sie abgehängt?!" stellt Felix irgendwann fest. Ich schüttle den Kopf: "Dreh dich mal um."

Einige Meter hinter uns sind fein säuberlich aufgereiht vier Stirnlampen aufgetaucht. "Oh Mist." stellen wir kollektiv fest und steigern das Tempo (zumindest versuche ich das).

Endlich haben wir den Schuttkegel vor dem Campanile erreicht. Steil führt nun der Pfad zum Einstieg. Wir knipsen die Stirnlampen aus, um den Franzosen - fies wie wir sind - nicht auch noch unnötig den Weg zu weisen. Ich bin komplett durchgeschwitzt, auch Felix guckt nicht ganz taufrisch. 6.35 Uhr stehen wir am Einstieg der Fehrmannverschneidung. 6.41 Uhr steigt Felix in die 1. Seillänge ein. Eine Stunde ab Hütte, das kann sich sehen lassen (rund 1,6km und 350 Höhenmeter)! 

Sonnenaufgangsschatten vom Campanile Basso an der Cima Tossa, 6:46 Uhr
Sonnenaufgangsschatten vom Campanile Basso an der Cima Tossa, 6:46 Uhr

Fährmong?

Als Felix in der ersten Seillänge klettert, kommen die vier (!) Franzosen an. Puh!  Den kürzeren Einstieg haben sie verpasst, denn sie kommen aus Richtung Rifugio Pedrotti. Ein wenig mühsam muss ich mir das Grinsen verkneifen, weil wir doch einfach schneller waren.

"Is this Fährmong?" fragt mich einer, der sich später als Jeff entpuppt.

"Yes, Fährmong." bestätige ich und nicke wissend.

Zwischenzeitlich hat Felix den 1. Stand erreicht und der Sonnenaufgang liefert uns ein tolles Schattenspektakel an der Cima Tossa.

Schnell klettere ich hinterher und steige nahtlos in die 2. Seillänge ein. Die Franzosen sind schnell, denn als ich am 2. Stand ankomme, höre ich Felix mit dem ersten Vorsteiger schon quatschen.

Bilderbuchverschneidung am Campanile Basso
Bilderbuchverschneidung am Campanile Basso

Seilzug? Egal!

Zügig hole ich Felix nach. Er geht sofort weiter in den sogenannten "Glatten Kamin" (ist wirklich glatt!) und holt mich für meine kurze "Lieblingsseillänge" nach: Ein blank polierter Stemmkamin. Routiniert werfe ich meinen Rucksack auf die Fläche am Ausstieg und stemme mich schnaufend und mehr oder weniger elegant, dafür sehr sächsisch, auf die nächste Ebene. Von den Franzosen aktuell keine Spur.

Nun folgen die im Topo als "Bilderbuchverschneidung" und später "Steile Verschneidung" beschriebenen wenigstens drei Seillängen. Wunderschön ragt die schier endlose Rissverschneidung vor uns auf. So schön wie sie aussieht, ist sie auch. Ein Bilderbuch-Zug jagt dort den nächsten - und das bei allerbester Sicherung mit Friends, Köpfel und Haken.

 

Als Felix am bereits 2. Haken ist, steigt einer der Franzosen aus dem "Glatten Kamin" heraus, geht nach kurzem Zögern zum Stemmkamin und arbeitet sich, das Seil mühsam nachziehend, zu mir hoch.

Was zur Hölle?!? Die haben clever zwei Seillängen kombiniert! Etwas widerwillig muss ich innerlich zu diesem Schachzug und seinem Seilzug gratulieren. Als Felix seinen Stand erreicht hat, ist sogar schon der Nachsteiger bei mir angekommen. Von der zweiten Seilschaft keine Spur. "They are weriii slow.", klärt Jeff mich auf.

Steile Platte, kompakter Fels und trotzdem Seilzug
Steile Platte, kompakter Fels und trotzdem Seilzug

Friend, Keil, Seilzug. Nicht egal!

Eilig klettere ich weiter. Das gibt es doch nicht, dass zumindest zwei von denen so schnell sind, zumal Jeff wenigstens fünf Kilogramm Metall mit sich herum trägt. Er hat Friends und Keile nicht nur am Gurt, nein: Auch an einer Schlinge über der Schulter hängt reichlich Metall.

Ich klettere auf einer steilen, sehr kompakten Platte, platziere den kleinsten Friend. Über die Schwierigkeiten (das soll hier IV sein!) müsste man eigentlich auch mal reden. Endlich kann ich nach weiteren 10 Metern einen Keil legen, dann geht es um die Ecke und voilá: Seilzug. Herrje!

 

Mühsam schleiche ich zum Stand und bin froh, als Felix die seilbremsenden Sicherungen im Nachstieg entfernt hat.

9.29 Uhr sind wir am Frühstücksplatz angekommen, einem gemütlichen Pfeiler, und ich verschlinge zwei Päckchen Zwieback (naja), während Felix noch kauend schon in die nächste Seillänge einsteigt, schließlich lauern irgendwo unserer "Verfolger".

Seillänge zum "Frühstückspfeiler"
Seillänge zum "Frühstückspfeiler"

Geteilter Stand ist halber Stand.

Felix hängt die folgende Seillänge gleich noch dran, um die 50-Meter-Variante zu testen. Am Stand haben uns die Franzosen jedoch wieder eingeholt. Es ist mir schleierhaft, wieso die mal weg sind und dann wie aus dem Nichts wieder auftauchen. Mehr noch, auch deren zweite Seilschaft hat aufgeschlossen. Soweit zu "weriii slow".

Was aber noch schlimmer ist: Alle stürmen forsch auf meinen Stand zu. Dem einzigen Hängestand der Fährmong-Verschneidung an zumindest drei, jedoch unterdurchschnittlich wirkenden, Normalhaken.

Jaques kommt als erster bei mir an. Vermutlich liegt es an meinem finster-grimmigen Blick, aber er gibt sich mit nur einem der Haken zufrieden (krass, wenn das der DAV wüsste!). Dann drängelt er sich dicht neben mich, denn halbwegs bequeme Tritte sind hier rar. "Sorriii, there is only little space here." entschuldigt er sich. Aha, er hat den "Eng der Lage" erkannt - das hält ihn allerdings nicht davon ab, Jeff sofort nachzuholen, wie man unschwer am Scheppern von rund 5kg Metall in der Wand erkennt.

Felix hat endlich den Stand vorm "Loch" erreicht. Ich sehe zu, dass ich "Wand" gewinne, denn Jeff folgt mir sofort auf dem Fuße. Die Seillänge ist wirklich schön und als ich am Überhang vorm "Loch" ankomme, kann ich sehen, dass die Franzosen zu dritt am Stand hängen - schön kuschlig aufgereiht. Ich hoffe, sie haben die drei Haken als Stand verbunden.

 

Letzte Seillänge der Fehrmannverschneidung (als Querung getarnt) zum Stradone Provinciale
Letzte Seillänge der Fehrmannverschneidung (als Querung getarnt) zum Stradone Provinciale

Warum einfach, wenn es auch schwer geht?

11:11 Uhr steigen wir auf dem Stradone Provinciale aus und haben damit die "Fährmong" beendet. Der Stradone Provinciale ist ein Band, das sich etwa drei bis vier Seillängen unter dem Gipfel einmal fast komplett um den Campanile zieht - ein strategisches Zwischenziel beim Gipfelsturm also. Dieses muss man sich durch mutiges Queren im oberen vierten (Dolomiten!-)Grad verdienen. Auch wenn die wichtigsten Griffe der Querung gut mit Chalk markiert sind, wünscht man sich, sie wären etwas größer - oder wenigstens die Tritte. So ist es ein ziemliches Geeier und ich bin froh, mich mit einem letzten noch einmal beherzten Zug auf besagten Stradone schwingen zu können.

 

Von dort kann man die steile Ausstiegswand der "Fährmong" noch einmal bestaunen, die vier Franzosen sind mittlerweile einmal kreuz und quer darin verteilt. Das ist allerdings wenigstens etwas rätselhaft, denn bisher waren sie extrem sicher in der Wegfindung und eigentlich hätten sie uns nur hinterher turnen müssen. An welcher Stelle da was schief gegangen ist, kann ich auch nicht sagen.

 

Wir gönnen uns eine kleine Mittagspause und versuchen dann den leichtesten Weg zur Ostwand zu finden, der uns zunächst durch einen Block versperrt ist. Naja, was soll ich sagen: Natürlich klettern wir da hoch, um am Ende an einem Abseilstand davon abzuseilen. Tipp: Man kann um den Block auch einfach herumlaufen.

Steil und Griffig, Preuß-Führe am Campanile Basso
Steil und Griffig, Preuß-Führe am Campanile Basso

Steil ist geil und vor allem griffig.

11.41 Uhr steigen wir in die Ostwand, "Preuß" ein. 

Das ist mal ein Kaliber: Steil und in allerbestem Kalk führt der Weg durch die kompakte Wand nach oben. Einzelzüge könnte man durchaus mit 6 oder 6+ bewerten - die Kletterei ist wunderschön. Die Wegfindung nicht ganz einfach.

 

Als wir am  1. Preuß-Stand angekommen sind, herrscht auf dem Stradone Provinciale unter uns derweil Hochbetrieb: Ein Bergführer mit Kunde am kurzen Seil geht zur Abseilstelle. Ein Pärchen folgt ihnen. Fünf Italiener seilen über die Ampferer-Führe(???) ab. Eine Gruppe von vier Franzosen geht zur Preuß-Wand - ebenfalls am kurzen Seil. Moment?! Franzosen?

 

Warum um alles in der Welt wollen die nun ausgerechnet auch noch die Preuß aussteigen? Tja! Immerhin erst am dritten Stand kommt Jeff angescheppert und wenigstens ist hier gescheit Platz zum Teilen des Standes.

Der Schönheit der Kletterei tut das keinen Abbruch. Paul Preuß, der Haudegen, hat durch diese herrlich steile Gipfelwand die leichteste Linie gefunden und auch die ist keineswegs geschenkt.  

Ziel erreicht!

13.33 Uhr erreichen wir die Gipfelglocke, YES! Insgesamt 18 Seillängen, knapp sieben Stunden Kletterei.

Wir haben die "schönste" Kombi auf den Campanile Basso gefunden!

18 Seillängen (FSFS: Felix-Sophie-Flexi-Seillängen) und keine davon unlohnend (naja, außer vielleicht die kurze 4. Seillänge mit dem blöden Stemmkamin).

Als die Franzosen oben ankommen, sind wir schon beim Abseilen. Auch zurück zur Hütte muss man noch einmal drei Stunden einplanen. Auf wildes Abseilen folgt ein Stück Klettersteig und schließlich ein schier endloses Felslabyrinth zurück zum Rifugio - und wir sind nicht nass geworden 😀

Alles in allem einfach ein Traum!

Auf dem Stradone Provinciale, Torre die Brenta
Auf dem Stradone Provinciale, Torre die Brenta
Gipfelblick Cima Tossa, Crozzon di Brenta
Gipfelblick Cima Tossa, Crozzon di Brenta

Wegskizze Fehrmannverschneidung, Campanile Basso
Wegskizze Fehrmannverschneidung, Campanile Basso
Abstieg über die Ferrata Brenta Alta
Abstieg über die Ferrata Brenta Alta