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Böhmische Schweiz für Anfänger - oder: Wir machen einen Kletterführer!

 

"YES!" bzw. "Ohje!" - Die eierlegende Wollmilchsau.

Jeder Kletterer hat ihn gern: Einen Kletterführer. Dieser hat dann zutreffende Beschreibungen der Wege, gute Topos (am besten mit 3-D-Effekt oder wegweisenden Strukturen), Anstiegsskizzen, solide Schwierigkeitsbewertungen (zumindest im Gebietskontext) und natürlich wasserdichte Beschreibungen für den Zu- und Einstieg und wenn es sich um Gipfel handelt, dann auch für den Abstieg, wenn dieser nicht offensichtlich ist. Fotos wären auch noch schön. Kurz: die eierlegende Wollmilchsau.

Kleiner Prebischkegel, gewaltiges Panorama, genialer Weg (SO-Weg, VIIb, E2)
Kleiner Prebischkegel, gewaltiges Panorama, genialer Weg (SO-Weg, VIIb, E2)

 

Natürlich hat auch jeder Kletterer, den man befragt noch viele weitere Ideen und Vorstellungen zur Gestaltung, was rein gehört oder zur jeweiligen Route. Wenn man diese alle aufgreift, dann ufert ein solches Werk schnell aus, wird unübersichtlich oder eine never-ending-Story. Als Helmut mir also erklärte, er will einen Auswahlführer für die Böhmische Schweiz erarbeiten, hatte auch ich natürlich sofort wenigstens um die 150 gute Ideen, die man unbedingt darin umsetzen sollte.

 

 

Was soll ich sagen, es wurde "leider" oder "zum Glück" nur ein Bruchteil im Führer aufgegriffen und: Ein Kletterführer schreibt sich wahrlich nicht von alleine. In allen Details steckt viel Zeit, wenn sie exakt recherchiert. Vor allem in den Topos steckt viel Mühe und während das Klettern einer ausgewählten Route noch reichlich Spaß macht, kann es später zu einer wahren Belastungsprobe werden, das Topo zu zeichnen. Das alles sortiert sich dann mehr oder weniger gut ins Jahr hinein, doch der Reihe nach ...


Schneemann, kletternd
Schneemann, kletternd

Im Winter

Vor allem die Wintermonate eigenen sich naturgemäß hervorragend, um Hintergrundarbeit und Recherchen für einen Führer zu machen. Auch Fotos von den ausgewählten Gipfeln und Wänden, die man später als Topo zeichnen möchte, nimmt man oftmals besser im Winter auf, wenn die umgebenden Bäume keine Blätter haben.

 

Hochmotiviert starten wir also vom warmen Auto in den kalten, wahlweise schlammigen oder verschneiten Wald zum Zielgipfel oder der Zielgegend. Während ich mit Kälteschock noch meine Zweitdaune im Auto suche, hat Helmut schon einen Vorsprung rausgearbeitet. Also renne ich im Stechschritt hinterher, schließlich soll die Zustiegszeit gemessen werden (nicht, dass uns später unterstellt wird, wir wären langsam!). Während ich bald schon im Dauerlauf bin, spaziert Helmut noch gemütlich vor mir her. Gut erwärmt erreichen wir dann das Ziel.

Durchweichte und wieder getrocknete Topo-Skizze vom Wurzelstein
Durchweichte und wieder getrocknete Topo-Skizze vom Wurzelstein

Dort packt Helmut seine halbfertigen Topos aus und beginnt, diese händisch zu vervollständigen. Schneeflöckchen rieseln aufs Papier, der Wind stülpt es hin und wieder um und macht das Zeichnen schwierig, wie man am Schimpfen vom Helmut zuverlässig erkennen kann. Ich hüpfe um den Fels, fotografiere Pilze, Steine, Schneeflocken, forme kletternde Schneemänner und beginne schließlich zu frieren. Zuerst an den Händen.

Endlich bekomme ich die durchweichte Zeichnung mit der Frage "Erkennt man es?" unter die Nase gehalten. Diese Zeichnung werde ich später am Abend mit einiger Mühe unter den bereits vorhandenen Teil vom Topo basteln, damit die Skizze vervollständigt werden kann.

 

 

Ich werfe einen knappen Blick auf die Zeichnung und nicke eifrig (ich hätte vermutlich zu allem genickt), denn mittlerweile bin ich gründlich durchgefroren und freue mich auf die nächst gelegene böhmische Kneipe, in der ich mich mit heißer Česnečka, Knoblauchsuppe, wieder auftauen und mein Knoblauchsuppen-Ranking verbessern kann.


Auf einer der grünsten böhmischen Quacken: Prebischhorn - nicht im Führer, aber mit gutem Blick zu Jörg im Winkelweg am Großen Prebischkegel
Auf einer der grünsten böhmischen Quacken: Prebischhorn - nicht im Führer, aber mit gutem Blick zu Jörg im Winkelweg am Großen Prebischkegel

Im Frühling

Die ersten Sonnenstrahlen haben den nassen und/oder kalten Fels getrocknet und etwas erwärmt. Wir lassen uns nach draußen locken, denn endlich können wir weitere Routen testen, ob sie für den Führer geeignet sind. Im Winter haben wir auf unseren Streifzügen viele Ideen gesammelt. Mit am Start sind Jürgen und Felix. Es geht nach Ostrov: fester Fels und sonnenexponiert.

 

Bad schon stehen wir in der schönen böhmischen Sonne am Wandfuß und leider erweist sich der ausgewählte sonnenexponierte Fels auch als außerordentlich windexponiert. Ich habe ein unschönes Dejavu als ich im kalten Wind nach meiner Zweitdaune suche, um mit noch kälteren Händen die Sicherung zu übernehmen. Helmut begibt sich motiviert auf eine Fotoposition. Felix steigt in eine steile Route mit drei Ringen ein und bald schon jammert auch er über kalte Hände. Doch beherzt und zügig klettert er nach oben, steht schließlich im gefühlten Sturm auf dem Gipfel.

 

 

Helmut ruft sofort "Wie schwer und E2?".

Felix brüllt zurück "Weiß nicht, war kalt! Kann mir jemand meine Daune ans Seilende binden?"

 

Soweit zum Testklettern. Jürgen und ich steigen tapfer mit kalten Händen nach und kommen zum selben Ergebnis: Kalt! Beim Abseilen über einen Winkel in der Nordseite entdecken wir sogar noch Eiszapfen. Wir beschließen den Klettertag zu beenden und wandern noch eine Runde durch die Tisaer Wände, um uns aufzuwärmen. Später sitzen wir in einer böhmischen Kneipe und einigen uns für die Route auf VIIc, E2. Irgendwann zwischen Frühling und Sommer können wir die Route noch einmal testen, vorerst jedoch kommt bei Knoblauchsuppe, gebackenem Käse und Gulasch mit Knödeln langsam wieder Gefühl in Finger und Zehen.


Klettern mit Andreas im Englischen Garten/Unter der Wand ...
Klettern mit Andreas im Englischen Garten/Unter der Wand ...

Testklettern in der Hitze: Westkante, VIIb, E3 am Beckstein.
Testklettern in der Hitze: Westkante, VIIb, E3 am Beckstein.

Im Sommer

Es ist heiß, brüllend heiß! Bereits am frühen Morgen sind es deutlich über 20 Grad Celsius. Die Lösung heißt "Nordwände" oder Westwände am Morgen und Ostwände am Abend. Wir stapfen zu dritt schwitzend mit den schweren Rucksäcken durch den staubtrockenen Wald zur Kleinen Eiländer Wand. Die schönen Südwände mit leider auch noch schwarzem Sandstein in Tisa haben wir abgewählt, denn wir wollen nicht gegrillt werden.

Jetzt stehen wir vom Wandfuß und begutachten die Wegoptionen. Vieles klettern wir heute zum zweiten Mal, um den Eindruck von Schwierigkeit und Sicherung zu bestätigen. Andreas ist dabei, er kennt die Wege noch nicht und überlegt, wo er als erstes einsteigt. Helmut feilt derweil bereits am Topo.

 

 

Wir sind fleißig und arbeiten uns von links nach rechts durch die Wand. Bald schon kommt die Sonne um die Ecke und es wird eigentlich zum warm zum Klettern. Andreas schleicht noch eine Weile um die "Hangel" (Sokolik), VIIa/E2 an der Großen Eiländer Wand, herum, gibt angesichts der Hitze dann aber auf. Schließlich sitzen wir nur noch mäßig motiviert im Schatten und überlegen, ob wir nach Hause fahren. Die Schokocreme in meinen Keksen hat sich auch verflüssigt, das mitgebrachte Wasser ist längst handwarm – immerhin sind die Hände heute nicht kalt.

Am Ameisenturm in Raiza: Der Name ist Programm!
Am Ameisenturm in Raiza: Der Name ist Programm!

So ganz hat Andreas das Klettern noch nicht aufgegeben, denn er schaute sich noch suchend zwischen den Türmen um. Dann zeigt er auf eine überhängende Verschneidung, Westseite: Himmelsleiter, Eckturm, VIIIa, E2. Für die Hitze definitiv der falsche Weg!

 

Keine fünf Minuten später hopst er startklar am Einstieg auf und ab. VIIa geht nicht, dafür VIIIa? Genau mein Ding und offenbar eine Frage der Motivation. Ich habe bereits vom Aufstehen Schweißperlen auf der Stirn, da habe ich noch nicht gesichert und bin auch noch nicht nachgestiegen.

Andreas jedoch rennt wieselgleich den Weg hoch. Viel Zeit kann er sich auch nicht lassen, sonst schwitzt er von den Griffen runter und Chalk ist im Sandstein ein Tabu. Ich steige nach, zuverlässig fliege ich am Ende der Hangel vorm zweiten Ring aus dem Weg raus. Auch ein Dejavu. Dann kämpfe ich mich tapfer nach oben und träume von einem sehr, sehr großen Getränk.

Als ich oben bin, ruft Helmut von unten "Wie schwer und E2?"

Wir rufen zurück: "Keine Ahnung, es war viel zu warm!"

 

Abseilen ist ein Highlight: 15m warmer Wind. Wir schleppen uns schwitzend aus dem Wald. Später kühlen wir bei einem großen, kühlen Getränk in einer böhmischen Kneipe langsam ab und befinden die "Himmelsleiter" für einen tollen Weg.


Tisa - immer für ein Paroramabild gut!
Tisa - immer für ein Paroramabild gut!

Im Herbst

Das wichtigste im Herbst ist ein Blick aufs Wolkenradar der WetterApp. Dadurch kann man ausschließen, dass man in Dresden im Sonnenschein startet und dann auf der böhmischen Schweiz in etwas steht, das sich "böhmische Walze" nennt. Das ist ein kalter, feuchter Nebel, der sich vor allem im Herbst im sogenannten böhmischen Becken sammelt und dann ins Elbtal unschön, kalt hineinströmt.

 

Heute sieht es gut aus, Sonne satt auch in Böhmen und wir wollen zum Englischen Park, eine kleine Gruppe von Gipfeln und Wänden in der Nähe vom Hohen Schneeberg, Sneznik, mit kurzen Wegen in sehr festem Gestein.

Wir parken in Sneznik an der kleinen Kapelle und laufen zunächst über eine Art Lichtung in Richtung Felsen. Weit kommen wir nicht. Nach vielleicht 150 Metern wirft sich Helmut auf den Waldboden: Er fotografiert Fliegenpilze. Prächtige, wunderschöne und sehr fotogene Exemplare. "Gut". denke ich und hole mein Handy raus. Dann knipse eben auch ich die Pilze und Helmut, wie er Pilze knipst – das natürlich, ohne mich der Länge nach auf den Boden zu legen. Dann können wir ja endlich zum Klettern gehen. Falsch gedacht, Helmut wirft sich vor die nächste Pilzgruppe auf den Boden: Noch schönere Fliegenpilze. Gut: Ich knipse auch die.

 

Nach weiteren 50 Metern sind nochmals Fliegenpilze das Fotomotiv, ans Klettern ist weiterhin nicht zu denken. Endlich packt der die Kamera weg und lässt die nächsten gefühlt einhundert Pilze einfach stehen. Dann führt der Pfad durch den Wald und ich stolpere praktisch über einen ganzen Haufen Maronen. Helmut kommt mir freudestrahlend mit zwei Steinpilzen in der Hand entgegen. Herrje! Die Sammlerin kommt durch und ich packe seufzend die Pilztasche samt Messer aus, um in der nächsten Stunde unzählige Maronen und Steinpilze aus dem Waldboden zu zupfen. Zwischendurch laufen wir sogar zum Auto zurück, um eine weitere Tasche für die Pilze zu holen. Später, viel später, stehen wir dann endlich am Fels und klettern die Routen, die wir noch für den Führer ausprobieren wollten.

 

Später endet der Tag dann nicht in der böhmischen Kneipe, sondern in der Küche zu Hause beim Pilze putzen.


Doch am Ende?

... zwischen all diesen und durch all diese Erlebnisse ist der Kletterführer "Böhmische Schweiz" Stück für Stück gewachsen. Wahrlich nicht immer verlief alles nach Plan:

- das Wetter spielte (oft) nicht mit,

- Parkplätze und Straßen waren plötzlich gesperrt oder überfüllt,

- wegen Corona durften wir gar nicht raus oder nur alleine oder insbesondere nicht ins hoch ansteckende Nachbarland,

- Routen waren besetzt,

- Kletterer wollten nicht zum Zielgipfel, sondern an einem anderen Gipfel klettern,

- Kletterer wollten lieber in die Schrammsteine,

- Kletterer wollten nicht den Zielweg, sondern "irgendwas mit Ring" oder "diese schöne Kante" klettern,

- das geplante Foto ließ sich nicht umsetzen,

- zu viel Sonne, keine Sonne, keine Wolken,

- der Kletterer war felsfarben gekleidet, kletterte viel zu schnell oder hob gar nicht erst ab,

- Topo-Skizzen waren verschwunden, aufgeweicht oder sahen einfach nicht schön aus

- Pilze standen beim Zustieg im Weg

- zu warm/zu kalt

- zu viel Bier am Vorabend,

- Ufos vergessen,

- Schulter, Knie oder Rücken

- Zecken, Zecken, Zecken

- ...

Auch Sonnenaufgänge und Nebelschwaden sind nicht automatisch schön, romantisch und fotogen und zu guter Letzt: . Die Frauenquote der Bilder ist unterirdisch!

Am Ende jedoch ist eine Sammlung lohnender Routen, toller Gipfel und damit schöner Kletterziele in der Böhmischen Schweiz entstanden (die auch jetzt noch immer weiter wächst.)  ... und seid froh, dass ihr nicht all das klettern müsst, was wir (zu Recht) aussortiert haben ;)  ... Prebischhorn z.B.

 

Jürgen am Übertritt zum Hauptgipfel der Zwillinge in Raiza. War ja klar, das sowas kommt!
Jürgen am Übertritt zum Hauptgipfel der Zwillinge in Raiza. War ja klar, das sowas kommt!