Agnes und ich bieten jedes Jahr für die DAV Sektion Dresden einen Alpinkletterkurs für Anfänger und (etwas) Fortgeschrittene an. Im Jahr 2024 fand dieser Kurs in den malerischen Lienzer Dolomiten auf der Karlsbader Hütte statt.

 

Karlsbader Hütte vor dem Laserzsee
Karlsbader Hütte vor dem Laserzsee

Dazu hat unsere Teilnehmerin Helena Kowalewska Jahromi einen hübschen Beitrag für das Sektionsheft geschrieben, den ich hier auch festhalten möchte.


Dolomiten für Anfänger

von Helena Kowalewska Jahromi


ch kralle mich 10m über dem letzten Bohrhaken an eine ausgesetzte Kante der Nord-Ostwand, als mich ein Schmetterling offenbar für eine überdimensionierte Blume hält und mir wie wild um die Nase tanzt. Um ihm auszuweichen, drehe ich meinen Kopf nach rechts, da fällt mein Blick auf den letzten Friend, der auf Höhe meiner Füße langsam aus der Spalte und nach unten rutscht. „Das war wohl nichts!“, denke ich mir und ärgere mich, dass ich das Legen mobiler Sicherungen am Tag vorher nicht mehr geübt habe.

 

Wir befinden uns in den Lienzer Dolomiten, es ist der dritte Tag unseres Alpinkletterkurses mit den Trainerinnen Agnes und Sophie. Wir klettern im Gebiet um die Karlsbader Hütte in einem atemberaubenden Panorama aus Zacken und Graten. Grauer, fester Kalk bildet in diesem Gebiet Platten und Kamine, Risse, Sanduhren und die unterschiedlichsten anderen Strukturen. Ein perfektes Terrain, um das Alpinklettern zu erlernen.

Aufstieg am Seil für nicht ausgelastete männliche Teilnehmer
Aufstieg am Seil für nicht ausgelastete männliche Teilnehmer

Die Anreise war zwar für einen größeren Teil der Gruppe nicht ganz ohne Zwischenfälle verlaufen, nach einem - dank Paul - fliegenden Autowechsel und erhöhter Aufstiegsgeschwindigkeit saßen wir Donnerstagabend im Juli alle gemeinsam auf der Hütte. Da für die nächsten beiden Tage Regen angesagt war, machten wir uns jeweils zeitig auf den Weg zum nah gelegenen Hüttenklapf um dort zunächst die Theorie zu erlernen und an dem niedrigen Sportkletterfelsen zu üben. Fleißig bauten wir Stände mit weichem Auge, sicherten mit Tube und HMS in Wechselführung, prusikten und übten das Legen von Friends und Keilen. Die dort noch unbenannten Wege bekamen dabei von Ralf in Erinnerung an verschiedene Gesangseinlagen am Fels gleich neue Namen verpasst. Am Samstag stellte sich das Wetter sogar als besser als geplant heraus, sodass die motiviertesten Teilnehmer Johannes, Piotr und Paul am Abend noch das zweite Sportklettergebiet in der Nähe, die vergessene Welt, bekletterten.

 

Die Spannung stieg mit der Aussicht auf unsere erste Alpinroute am Sonntag. In jeweils zwei Seilschaften nehmen wir uns an diesem Tag die Routen „Gamsplatte“ und „NO-Kante“ an der kleinen Gamswiesenspitze vor. Nicht nur ich bin vorher recht angespannt, auch Josi und Paul ist beim Einstieg in ihre jeweiligen Wege etwas mulmig zumute. „Muss gehen, eine 5 ist ja kein Hexenwerk“ höre ich Josi noch murmeln, bevor sie sich an ihren ersten Vorstieg in der Platte macht. 

Kleine Gamswiesenspitze, NO-Kante
Kleine Gamswiesenspitze, NO-Kante

Mutig bewältigen wir alle die ersten paar Seillängen, nicht immer in sauberer, aber doch in sinnvoller Wechselführung, wie unsere Trainerin Agnes es treffend beschreibt. Als ich an der exponiertesten Stelle in der NO-Kante dann den Friend herausrutschen sehe, ist es bei mir mit dem Mut aber vorbei. „Kann ich zurückkommen zum letzten Haken und euch von dort aus nachholen?“, frage ich kläglich nach unten und noch bevor Sophie beruhigend geantwortet hat, bin ich in Windeseile zurückgeklettert und mit einem Mastwurf gesichert. Gleichzeitig hört man auch von rechts ein leises Wimmern. Josi hat sich ein Stück neben mir zwischen zwei Haken verirrt. „Bleib ruhig, das ist hier gutes Sturzgelände“, ruft ihr Agnes von unten zu. Ich sehe es Josis Miene an, dass sie das trotz der sportlicheren Sicherung in ihrer Route auf keinen Fall als Option sieht. Anders als ich überwindet sie sich aber und schafft es dann doch weiterzugehen. Trotz aller Zweifel und Schwierigkeiten schaffen wir es alle am frühen Nachmittag bis zum Gipfel. Einen großen Anteil daran haben sicherlich auch die unterstützenden und aufmunternden Worte unserer Trainerinnen und Kletterpartner:innen. Gemeinsames Kaiserschmarren-Essen rundet den Tag ab. Überhaupt sind wir spätestens nach diesem dritten Tag des Kurses als Gruppe schon richtig zusammengewachsen.

 

 

Am Ausstieg der berühmten "Bügeleisenkante"
Am Ausstieg der berühmten "Bügeleisenkante"

Nicht nur die kletter-intensiven Tage, sondern auch die Abende vergehen so in Windeseile. Nach dem deftigen und reichlichen Essen in der Hütte vertreiben wir uns die Zeit, indem wir gemeinsam unter viel Gelächter das von Gaby mitgebrachte Kreuzworträtsel lösen, bei dem man wirklich um die Ecke denken muss. Trotz geselliger Abende wachen wir morgens zeitig auf, unterstützt vom Blöken der Schafe draußen, das von „niedlich“ bis „Kettenraucher“ schon frühmorgens in allen Tonlagen ertönt.

 

 

Bohrhaken-Special der Lienzer Dolomiten: Theniushaken
Bohrhaken-Special der Lienzer Dolomiten: Theniushaken

Den krönenden Abschluss der Tour bilden die beiden Klassiker des Gebiets – Bügeleisenkante und Egerländer Kante. Die Routen sind leichter, aber mit 13 bzw. 19 Seillängen deutlich länger als die beiden am vorigen Tag. Nach den bisherigen Erlebnissen fühlen wir uns beim Einstieg fast schon erfahren. Besonders als Paul der nachkommenden Seilschaft gleich am ersten Stand mit dem richtigen Aufbau der Nachsicherung weiterhilft, zeigt sich, wie viel wir in den drei vorherigen Tagen schon gelernt haben. Trotzdem wird es auch hier nicht langweilig. Nicht zum ersten Mal ertönt vom ein oder anderen das nicht ganz so bekannte Seilkommando „Stopp, stopp, stoppstoppstopp, stopp. STOPP!!“, wenn der HMS zum Nachholen auf den zweiten Blick doch noch nicht so ganz sitzt. Auch das Seilkommando „OK“ handelt sich eine Rüge ein. Überhaupt sind allerlei Situationen und provisorische Lösungen nach Beschreibung von Sophie häufig „hochexperimentell“ und der Ausdruck „och neee“ wird bald auch von den nicht-gebürtigen Sachsen fließend angewendet. Insgesamt werden aber beide Routen letztlich einmütig als angenehme Genusskletterei mit alpinem Charakter und vor allem auch mit tollen Ausblicken beschrieben. Ein würdiger Abschluss unseres Kurses! Und für die Motiviertesten, die selbst nach 19 Seillängen noch nicht genug hatten, gab es sogar noch 5 Seillängen „Silberpfeil“ bis auf den Roten Turm. So ließen die meisten den letzten Tag auf der Hütte mit einem kühlen Getränk auf der Hütten-Terrasse ausklingen – mit Blick auf die drei Unermüdlichen Piotr, Johannes und Conrad auf dem Roten Turm und dem fantastischen Panorama der Lienzer Dolomiten.