Im Zickzack zum Gipfelglück - Ehekrise für Kletter

Bei schönstem Sonnenschein gehen wir in Richtung Verlassene Wand zum Klettern. Die Verlassene Wand ist ein hoher und langgestreckter Gipfel im Bielatal mit Wegen in allen Schwierigkeitsgraden. Wir legen unsere Rucksäcke auf Steinplatten ab und umrunden mit dem Kletterführer bewaffnet den Gipfel.

 

Ich freue mich über die vielen Wege, die wir hier klettern können. Ein Vorstiegsprojekt von mir ist ohnehin der Breite Kamin, eine VIIa, die durch geschicktes Spreizen in eine gemütlich-gefühlte VI verwandelt werden kann. Eine "sächsische VI" – versteht sich.

Am Einstieg des Juliwegs, V*, steht ein eine andere Seilschaft. Ein Mann und eine Frau, ich schätze beide auf etwa Mitte 40. Sie diskutieren über die Wahl des Weges:

 

"Nein, ich will heute aber nicht so schwer klettern.", sagt sie recht bockig zum Mann, der bereits die AKV-Variante für VIIa* in Augenschein genommen hat.

"Das ist doch nur der Ausstieg!", bockt er schlecht gelaunt zurück.

"Ja, aber ich bin nur mitgegangen, weil du gesagt hast, wir klettern heute nur leichte Wege und ich finde eine V ist schon viel zu schwer für diese Wärme."

"Es ist doch überhaupt nicht warm.", kontert er missmutig, "Außerdem sparst du dir bei dem Ausstieg die Querung, deshalb habe ich extra auf den Excelsiorweg (VIIb*) verzichtet …", versucht er sie zu locken.

"Quatsch Querung, ich will eigentlich hier gar nicht klettern!", kommt es von ihr zurück. Dann setzt sie sich demonstrativ auf einen Block und verschränkt die Arme.

 

Wir versuchen an den beiden vorbei zu schleichen. Doch mein Kletterpartner bleibt kurz vorher stehen und zeigt auf den Neuen SW-Weg, VIIa*. Der Weg sieht toll aus.

"Was hältst du von dem Weg?", fragt mich mein Kletterpartner, "Der sieht gut aus, hat einen Ringe und ist unten nicht so grün wie der Juliweg-Weg."

Uns treffen vernichtende Blicke des Mannes.

Die Frau nimmt mit zusammengekniffenen Augen den Einstieg des Juliwegs in den Blick, ich folge ihren Kopfbewegungen und entdecke tatsächlich etwas grünen Bewuchs auf den untersten Leisten.

"Aha, Juliweg heißt er wohl nur deshalb, weil man in nur im Juli klettern kann, sonst ist er nass …", kommentiert sie sarkastisch.

 

Ich stoße meinen Kletterpartner in die Seite und versuche ihn mit Kopfschütteln zum Schweigen zu bringen. Doch er plappert weiter, als wäre nichts gewesen: "… und schau mal, der Ring lässt sich super anklettern. Geniale Leisten. Oben können wir über den Juliweg aussteigen, der dann reinquert."

 

Wieder vernichtende Blicke des Mannes, dann ein Versuch, das Thema einzufangen: "Den Juliweg wollen wir gerade klettern."

"Hast du nicht gesagt, du gehst die Ausstiegsvariante?" meckert die Frau?

"Ich denke, das willst du nicht?", meckert der Mann zurück.

"Na … vielleicht doch. ", sagt jetzt zu meiner Überraschung die Frau.

Der Mann staunt kurz und meint dann: "Dann könnte ich doch vielleicht gleich den Excelsiorweg klettern?"

Die Frau reißt die Augen auf und starrt ihn böse an: "Eigentlich will ich gar nicht klettern."

 

Aha, denke ich 'zurück auf LOS'. Mein Kletterpartner ist verunsichert und schlägt mir vor, den neuen Südwestweg zu klettern und dort den Direktausstieg zu nehmen. Dieser sieht zwar bedrohlich überhängend aus, doch offenbar will er die Krise der beiden nicht verstärken.

 

Der Mann seufzt und beginnt dann optimistisch, Schlingen an den Gurt zu hängen, nach einiger Zeit schlägt er friedfertig vor: "Ich kann auch den leichtesten Weg durch diese Wand hier suchen?".

Ich starre auf die Wand und versuche mir vorzustellen, wie er das meint. Der Frau geht es wohl ebenso, sie sucht die Wand nach den "leichten Stellen" ab.

"Mach, was du willst – so wie immer.", kommt es schließlich bissig zurück.

 

Kopfschüttelnd holen wir unsere Klettersachen und beginnen im Neuen SW-Weg zu klettern. Der Mann ist mittlerweile auf den Pfeiler vom Pfeilerweg IV* gestiegen (ich tippe auf die erste "Vereinfachung des Juliwegs") und hält Ausschau nach dem Weiterweg.

Mein Kletterpartner steigt unbeirrt gerade nach oben. Legt einige Schlingen und steigt weiter. "Du hast mich aber?", fragt er nach einiger Zeit. Zu Recht! Denn das, was sich nebenan abspielt ist wenigstens einhundertmal spannender als eine langweilige Sternchen-VIIa.

"Ja!", versichere ich also und beobachte den Mann aus den Augenwinkeln weiter. Dieser quert wie wild durch die Wand und klettert so mindestens vier Wege gleichzeitig. Er hängt diverse Ringe … SO-Wand?, Olympia?, Excelsiorweg? … ein, verlängert diese und legt kreuz und quer Schlingen. Ein Schauspiel! Ich unterdrücke den Impuls, diesen Seilverlauf zu fotografieren.

 

"Ich will aber nicht queren. Nimm ja keine Schrauber! Wenn du eine Sanduhr legst, dann ohne Knoten … ", ruft die Frau diese und noch einige andere Vorgaben. Er hört das schon nicht mehr, denn gleich ist er oben. Ein wenig tut er mir leid.

 

Mein Seilpartner hat mittlerweile den Ring erreicht und den ersten Überhang bewältigt. Er steigt tapfer weiter. Noch zwei Schlingen, eine davon eine gefädelte Knotenschlinge mit Schrauber, und er ist oben. "Stand." ruft er herunter. Ich sichere aus und überlege, ob ich der Frau anbieten soll, das Ring- und Schlingen-Wirrwarr ihres Mannes nachzusteigen und sie bekommt die schöne Linie (mit gefädelter Sanduhr) vom Neuen Südwestweg … doch als ich ihren finsteren Blick einfange, verkneife ich mir jeden Kommentar und steige in den Südwestweg ein.

 

Wir steigen praktisch gleichzeitig los, sie auf den Pfeiler (Bandschlinge), ich in eine Verschneidung. Bald darauf vergesse ich sie und freue mich über den schönen Weg. Die Überhänge sind kräftig. Der Ausbau der gefädelten Knotenschlinge kostet mich Kraft und Zeit (wo sie Recht hat, hat sie Recht!).

 

Die Frau und ich kommen fast gleichzeitig auf dem Gipfel an. Sie hat bestimmt 15 Schlingen umhängen und schimpft über einen "unzulässig" von ihm verwendeten Karabiner. Der Mann tut mir nun endgültig leid.

Wir gehen zum Gipfelbuch und tragen uns ein. Dann reichen wir das Buch an das Pärchen weiter. Während wir die Abseile vorbereiten, hören wir, wie sie darüber streiten, welchen Weg sie nun eintragen.

 

"Der größte Teil war der Juliweg.", meint er.

"… und diese blöden Ringe? Die waren doch mindestens von einer VIIb! Dann trag den Excelsiorweg ein …" zickt sie herum.

"Nein, so schwer war das nicht."

"Ich fand´s schwer …" mault sie zurück.

Er seufzt. Wir seilen ab.

Kopfschüttelnd suchen wir unten das Weite (also den Bonzen). Die beiden sitzen noch immer oben und diskutieren. Als sie schließlich zur Abseilöse gehen, bin ich fast versucht, hochzuklettern und zu schauen, was sie nun im Gipfelbuch eingetragen haben …

 

Ich verkneife es mir und hoffe, dass ich daran denke, wenn ich das nächste Mal auf der Verlassenen Wand bin.

 

(Nachtrag: Als ich einige Zeit später dann den Breiten Kamin gestiegen bin, habe ich nachgeschaut. Sie haben "Varianten zum Juliweg" ins Gipfelbuch eingetragen.)